Die wichtigsten Werke der klassischen Musik sollen kurz und kompakt vorgestellt und Interessierten alle notwendigen Infos bereitgestellt werden, inkl. CD-Tipps und YouTube-Videos.
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Lebensdaten: 23. April 1891 Gut Sonzowka (Russland) - 5. März 1953 Moskau Werk: Sinfonie Nr. 1 D-Dur, op. 25 "Symphonie Classique" Epoche: Moderne Entstehungszeit: 1916/17 Besetzung: Orchester Uraufführung: 21. April 1918 Aufführungsdauer: ca. 15 Minuten Sätze:
Allegro
Larghetto
Gavotte. Allegro non troppo
Finale. Molto vivace
Prokofjews Sinfonie Nr. 1 (1916-17) stellt das früheste reife Werk des Komponisten in einem Genre dar, zu dem er für den Rest seiner Karriere immer wieder zurückkehrte. Obwohl die Sinfonie in Russland und im Ausland sehr positiv aufgenommen wurde - und bis heute eines der am häufigsten in den Spielplan aufgenommenen Werke des Komponisten ist - blieb Prokofjews Haltung ihr gegenüber zwiespältig und schwankte zwischen ablehnend und defensiv.
Die erste Sinfonie ist besonders faszinierend, wenn man Prokofjew als eine führende Figur der russischen Avantgarde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts betrachtet. Die anachronistische Bezeichnung des Werks als "klassisch" scheint in Bezug auf eine Reihe von Merkmalen besonders treffend zu sein. Die Sinfonie ist in einer vertrauten viersätzigen Form gehalten, wobei die beiden schnellen Außensätze (Allegro bzw. Vivace) einen langsamen Satz (Larghetto) und einen von einem stilisierten Tanz inspirierten Satz (Gavotto) umklammern; die Texturen sind sparsam, die Besetzung angemessen für ein Orchester des späten 18. oder frühen 19. Jahrhunderts. In der Tat ist anzumerken, dass der Untertitel "klassisch" von Prokofjew selbst stammt; der Musikwissenschaftler R.D. Darrell hat vermutet, dass der Komponist ihn zum Teil gewählt hat, um den Charakter des Werks zu beschreiben, weil er einerseits hoffte, dass das Werk eines Tages ein Klassiker werden würde und andererseits aus reinem Schabernack gegenüber Kritikern. (In Bezug auf Letzteres schrieb Prokofjew, er wolle "die Gänse necken".)
Obwohl die Sinfonie zuweilen scharf dissonant ist, bleibt sie auf einer stabilen tonalen Basis stehen. Sicherlich wird das "klassische" Modell in der harmonischen Sprache des Werks strapaziert, die von Prokofjews charakteristischen mehrdeutigen Kadenzen und plötzlichen Verschiebungen zwischen tonalen Zentren geprägt ist. Dennoch behält das Werk viele Merkmale der Wiener Klassik bei, von der Sonaten-Allegro-Form des ersten Satzes über die mozartsche Gavotte und das Trio des dritten Satzes bis hin zum überschwänglichen, witzigen Finale. Trotz der Suggestion ihres Titels ist die "klassische" Sinfonie nicht wirklich neoklassisch im Sinne der zeitgenössischen Werke von Strawinsky, sondern eher ein Werk von eleganter Einfachheit, das den Geist der hohen Wiener Klassik heraufbeschwört, gefiltert durch die abenteuerlichere Sensibilität von Prokofjews eigener Musiksprache.
(c) Alexander Carpenter, R.D. Darrell, Sergei Prokofjew
Kaufempfehlung:
Berliner Philharmoniker, Dir. Seiji Ozawa
DGG, DDD, 1989-91
YouTube:
hr-Sinfonieorchester, Dir. François Leleux 12. Mai 2017 im hr-Sendesaal (Frankfurt/Main)
Lebensdaten: 15. Juni 1843 Bergen - 4. September 1907 Bergen (Norwegen) Werk: Peer Gynt Suite Nr. 1, op. 46 Epoche: Romantik Entstehungszeit: 1874/75 Besetzung: Orchester Aufführungsdauer: ca. 15 Minuten Sätze:
Morgenstimmung
Åses Tod
Anitras Tanz
In der Halle des Bergkönigs
Den meisten Konzertbesuchern ist Edvard Grieg nur als Komponist von zwei ungemein populären Konzertwerken bekannt: dem Konzert für Klavier und Orchester und der ersten Orchestersuite, die aus der Bühnenmusik zu Henrik Ibsens Theaterstück "Peer Gynt" stammt. Seit die Peer-Gynt-Suite Nr. 1, op. 46 in den späten 1880er Jahren erschien, ist sie ein fester Bestandteil des Orchesterrepertoires. In der Tat kann man mit Sicherheit sagen, dass seine vier Bestandteile zu den am häufigsten gespielten und sofort wiedererkennbaren Stücken gehören, die jemals geschrieben wurden; dennoch behalten sie bei einer guten Aufführung immer noch einen großen Teil ihrer ursprünglichen Vitalität und Frische.
Ibsens Drama in fünf Akten handelt von einem jungen norwegischen Rüpel namens Peer Gynt, der davon träumt, Herrscher der Welt zu werden. Seine verschiedenen Abenteuer - er entführt eine zukünftige Braut während ihrer Hochzeit, verlässt sie für eine andere Frau, wird von Gnomen gequält, gibt sich als Prophet unter den Arabern aus, brennt mit einer arabischen Prinzessin durch und wird anschließend von ihr betrogen, und kehrt schließlich nach Norwegen zurück - sind der Stoff, aus dem hohe Dramen und Abenteuer gemacht sind, und sie sind rau und isoliert auf eine Weise, die typisch nordisch ist. Grieg fängt diesen Ton perfekt ein.
Grieg eröffnet die erste Peer-Gynt-Suite mit einem Stück namens "Morgenstimmung", das ursprünglich zu Beginn des vierten Aktes gespielt wurde. Ein sanftes E-Dur-Thema wird von den Flöten und dann von den Oboen vor einem statischen harmonischen Hintergrund angekündigt, der wirkungsvoll die Stille der ersten Momente der Morgendämmerung nachahmt. Diese liebliche Melodie - eine umgekehrte Bogenform - wird durch eine funkelnde Palette subtiler harmonischer Veränderungen geführt; helle Flötentriller schließen sich der musikalischen Mischung an, während die "Morgenstimmung" zu einem sanften Ende kommt. Obwohl die "Morgenstimmung" nur vier Minuten lang ist, gelingt es Grieg, etwas sowohl Zeitloses als auch Universelles in der Musik einzufangen.
"Åses Tod", das folgt, sollte als Vorspiel zum dritten Akt gespielt werden. Peer Gynt ist nach Hause zu seiner Mutter Åse zurückgekehrt, nur um festzustellen, dass ihre Tage auf Erden zu Ende gegangen sind. "Åses Tod" hat nur ein winziges melodisches Fragment (zu einem absolut gleichbleibenden Rhythmus), und doch wird die Partitur nie langweilig. Ein Schriftsteller des späten 19. Jahrhunderts bemerkte, dass es Grieg gelungen sei, nicht nur das Hinscheiden von Peer Gynts Mutter zu vermitteln, sondern auch das traurige Sterben des Sommers und damit der Sonne im ländlichen Nordland.
Nach einem einzigen, magischen E-Dur-Akkord beginnt "Anitras Tanz" mit einer beschwingten Geigenmelodie über einem fesselnden Pizzicato-Hintergrund. Unser kleines Thema wird in der Mitte des Tanzes durch mehrere kleine harmonische Abenteuer geführt (einschließlich eines warmen und willkommenen, wenn auch kurzen, Durchgangs durch D-Dur). Während der Reprise des Anfangsteils lässt Grieg einige melodische Imitationen durch die Celli zu.
"In der Halle des Bergkönigs", geschrieben, um die Verhöhnung und Verfolgung von Peer Gynt durch die Zwerge zu begleiten, nachdem er sich geweigert hat, die Tochter des Bergkönigs zu heiraten, ist vielleicht das berühmteste dieser vier Stücke. Die Musik, die auf nur einem kleinen, sich wiederholenden thematischen Fragment aufbaut, wird wilder und wilder, bis es scheint, als ob es Peer Gynt - und das arme Orchester - nicht mehr aushalten können. Es ist wie ein Wirbelwind.
(c) Blair Johnston
Kaufempfehlung:
Berliner Philharmoniker, dir. Herbert von Karajan Label: DGG, DDD, 1982
YouTube:
Polish Youth Symphony Orchestra, Dir. Maciej Tomasiewicz 8.7.2015 in der Frederic Chopin School of Music Concert Hall in Bytom (Polen)
Lebensdaten: 6. Januar 1838 Köln - 2. Oktober 1920 Berlin Werk: Violinkonzert Nr. 1 g-Moll, op. 26 Epoche: Postromantik Entstehungszeit: 1864-68 Besetzung: Violine und Orchester Aufführungsdauer: ca. 24 Minuten Sätze:
Prelude. Allegro moderato
Adagio
Finale. Allegro energico
Bruch schrieb sechs substanzielle, mehrsätzige Werke für Violine und Orchester, aber nur dieses - das erste seiner drei offiziellen Konzerte - und die Schottische Fantasie sind heute noch wirklich bekannt. Eine kleine Wiedergutmachung für diese Vernachlässung ist die Tatsache, dass dies eines der beliebtesten Konzerte des 19. Jahrhunderts im Repertoire ist, was umso bemerkenswerter ist, weil es das erste große Orchesterwerk war, das Bruch überhaupt veröffentlicht hatte. Das Werk fiel ihm nicht leicht. Bruch begann 1857 mit ersten Skizzen des Konzerts, zog es aber nach seiner Uraufführung 1866 wieder zurück. Nach einer gründlichen Überarbeitung, die auf Ratschlägen einer ganzen Reihe von Violinisten und Komponisten beruhte, am Bekanntesten darunter der Violinvirtuose Joseph Joachim, veröffentlichte Bruch 1868 eine finale Version. Sie wurde von Joachim uraufgeführt und ihm gewidmet. Obwohl er das Werk in der traditionellen Form Schnell-Langsam-Schnell angelegt hat, entwickelte Bruch jeden Satz in Sonatenform und verband sie alle ohne Pause.
Der erste Satz Allegro moderato trägt den Untertitel Vorspiel, ein Relikt aus der Zeit, als Bruch dies eher zu einer Fantasie als einem Konzert machen wollte. Ein ruhiger Paukenwirbel und ein paar niedergeschlagene Phrasen der Holzbläser bereiten die Bühne für den nachdenklichen Auftritt der Violine, eine Melodie, die sukzessive aufsteigt. Dies alles wird etwas bestimmter wiederholt bis das volle Orchester die Kontrolle über das Holzbläsermotiv übernimmt und die Violine ein langes, leidenschaftliches Thema über bebenden Streichern und unheilvollen Paukenschlägen zum Besten gibt. Das zweite Hauptthema ist sanglicher und liegt tiefer im Violinregister bis eine Reihe an Trillern es in erregtere hohe Gefilde trägt, wo es für eine gewisse Zeit verweilt. Dann wird erneut das erste Thema präsentiert, Doppelgriffe verdoppelt seine Intensität. Dies führt in die Durchführung ein, eine stürmische Passage für das Orchester, während der die Violine friedvoll bleibt. In der Rückkehr der Anfangstakte des Satzes dienen die Solophrasen der Violine nun als verkürzte Kadenzen. Eine kurze Kombination aus Reprise und Coda im Orchester führt zum zweiten Satz.
Das Adagio ist eine nostalgische Arie für die Violine. Die Solopartitur wird zunehmend kopmliziert und schlittert in ein feurigeres, aber weniger klar umrissenes zweites Thema, welche in drei schweren Seufzern des Orchesters und anschließend des Solisten kulminiert. Bruch unterzieht dem allen einer profunden Entwicklung, hochgradig emotional ohne dabei rührselig zu werden. Die Reprise lässt nach und fügt eine sehr kurze Pause vor dem Finalsatz ein.
Dieser ist das Allegro energetico, welches sich nach einem behutsamen Orchesteraufbau als froher Tanz in etwas ungarischem Stil herausstellt (ein Tribut sowohl an Joachim, der Ungar war, als auch das von Joachim beeinflusste Finale von Brahms' Violinkonzert). Dem Tanzthema folgt etwas hastendes, virtuoses Material für den Solisten und anschließend eine große, romantische Melodie, welche gegen Ende der Exposition ihre eigene Klimax kreiert. Bruchs Idee der Durchführung besteht hier größtenteils aus einer transponierten Wiederholung von allem, gespielt in etwas emotionalerem Register. Es ist der ungarische Tanz, der das Konzert zu einem belebenden Ende bringt, welches man nach dem bedrückten Beginn des Werks kaum hätte vermuten können.
(c) James Reel
Kaufempfehlung:
Salvatore Accardo (Violine), Gewandhausorchester Leipzig, dir. Kurt Masur Label: Decca, ADD, 1978
YouTube:
Hilary Hahn (Violine), hr-Sinfonieorchester, dir. Andrés Orozco-Estrada 9. Dezember 2016 in der Alten Oper Frankfurt (Main)
Lebensdaten: 3. Juli 1854 Hukvaldy (Mähren) - 12. August 1928 Ostrava Werk: Sinfonietta (Symfonietta vojenská) Epoche: Postromantik Entstehungszeit: 1926 Uraufführung: 26. Juni 1926 in Prag Besetzung: Orchester Aufführungsdauer: ca. 23 Minuten Sätze:
Allegretto. Fanfáry
Andante. Hrad
Moderato. Králové kláster
Allegretto. Ulice
Andante con moto. Radnice
1925 saß Leoš Janáček an einem sonnigen Tag in einem idyllischen Park und hörte eine Militärkapelle in Uniform ein entzückendes Konzert geben. Im Nachhinein verlockte ihn die Idee selbst einige Fanfaren für Militärkapelle zu komponieren; als ihn die Organisatoren des Turnfests von Sokol um "etwas Musik" baten, ergriff er die Gelegenheit und schrieb ein Militärsinfonietta genanntes Werk, welches er "An die tschechoslowakische Streitkraft" widmete. Später entfernte Janáček den Zusatz "Militär" wieder, so dass das Werk heute einfach als die Sinfonietta bekannt ist. Der große Dirigent Václav Talich leitete ihre Uraufführung in Prag am 26. Juni 1926. Der Patriotismus, der die Militärkapelle inspiriert hatte, fand in dem Programm Ausdruck, das Janáček letztendlich für das Werk entwarf und verschiedene Szenen aus Janáčeks Wahlheimatstadt Brünn in den Nachwehen der tschechischen Unabhängigkeitserklärung am 28. Oktober 1918 darstellt. Der erste Satz weist Fanfaren für orchestrale Blechbläser auf; es gibt tatsächlich mehrere, immer schneller werdende Themen, die sich aus der ursprünglichen Fanfare vor dem Maestoso-Ende entwickeln, aber alle nutzen das Intervall der Quinte so häufig, dass sie unmittelbar als Fanfaren erkennbar sind. Der zweite Satz zeigt die Festung Špilberk mit ihren unterirdischen Kerkern, die nun von den Tschechen kontrolliert werden. Er beginnt mit einem Tanzthema in den Oboen, begleitet von wirbelnden 32tel-Noten, aber bald schon wird ein lyrisches Thema eingeführt. Beide Themen begeben sich auf einen wilden Ritt der Entwicklung, welche mit ruhigem, pastoralem Gesäusel in den Streichern und Harfe, welche lyrische Melodien unterstützen, unerwartet zum Stehen kommt. Das Tanzthema kehrt zurück, um den Satz abzuschließen. Der dritte Satz, eine Darstellung des Brünner Klosters, enthält ein lyrisches Thema, welches aber, während es innerhalb des Orchesters herumgereicht wird, durch grimmige Posaunenfanfaren und sich wölbende Tonspritzer in Piccolo und Flöte unterbrochen wird. Die Posaune scheint mit einer burlesken Version des lyrischen Themas zu dominieren, aber dieses macht in seiner Ursprungsform einen letzten Auftritt, zart und heiter. Die Straßen Brünns nach der Befreiung sind das Thema des vierten Satzes; Janáček verwendet ein fanfarenähnliches Thema als Aufruf zu nahezu ununterbrochener Bewegung, die nur durch humorvolle Tempowechsel und frühe Auftritte der Blechbläser und Glocken unterbrochen wird. Brünns Rathaus wird im triumphalen fünften Satz gezeigt. Drei Flöten spielen eine traurige Variante der ersten Fanfare, die dann langsam im Wind entwickelt wird gegenüber einer kontrastreichen Begleitung aus hetzenden Streichern. Das Werk endet mit einer pompösen Rückkehr der Fanfaren und einer gigantischen Coda, die Blechbläser begleitet von ekstatischen Orchesterwirbeln, die die Freude der Tschechoslowakei verkünden. Die Sinfonietta ist vermutlich Janáčeks bestes Orchesterwerk und eines der kräftigsten und lebensbejahensten Werke, die je geschrieben wurde.
(c) Andrew Lindemann Malone
Kaufempfehlung:
Wiener Philharmoniker, dir. Sir Charles Mackerras Label: Decca, ADD/DDD, 1970-80
Lebensdaten: 1. März 1810 Żelazowa Wola (Herzogtum Warschau) - 17. Oktober 1849 Paris Werk: Klaviersonate Nr. 2 b-Moll, op. 35 Epoche: Romantik Entstehungszeit: 1837-39 Besetzung: Klavier solo Aufführungsdauer: ca. 25 Minuten Sätze:
Grave - Doppio movimento
Scherzo. Più lento - Tempo I
Marche funèbre. Lento
Finale. Presto
Chopin schrieb den Trauermarsch, der später zum dritten der vier Sätze dieser Sonate wurde, 1837 und komponierte die anderen drei Sätze zwei Jahre später. Quasi seitdem es das erste Mal gehört wurde, wurde dieses Werk der Form nach weniger als Sonate angesehen, sondern als Sammlung von vier ziemlich unterschiedlichen Stücken, die der Komponist unter einem musikalischen Dach versammelte. Robert Schumann war der erste, der einen Mangel an Zusammenhang zwischen den verschiedenen Sätzen bemängelte. Verschiedene Musikwissenschaftler des späten 20. Jahrhunderts stellten jedoch eine Reihe an zuvor übersehenen - oder zumindest ignorierten - Eigenschaften dieser Komposition heraus, die die Sätze als untrennbare musikalische Geschwister zusammenhalten.
Die Sonate kann als eine Art Lebenszyklus angesehen werden. Der erste Satz dient als die Lebenskraft, sich mühend, liebend und leidend. Das folgende Scherzo stellt im Hauptteil dämonische Kräfte dar und gute Kräfte in der lyrischen, Abwechslung bringenden Melodie des Trios. Wenn dieser Satz mit einer teilweisen Rückkehr des zweiten Themas endet ist nicht klar, welche Kräfte am Ende siegreich daraus hervorgingen. Der Trauermarsch des dritten Satzes repräsentiert den Tod oder die Trauer über den Protagonisten der ersten beiden Sätze. Das gespenstische Finale mit seinen Wirbeln aus düsteren Winden, rief in der Vorstellung der Hörer viele unheilvolle Bilder hervor und dient dem Lebenszyklus hier als eine Art letztes Bild des Verstorbenen, der in seinem stillen Grab liegt mit dem Rauschen des Windes, das darüber die einzige Störung darstellt.
Es gibt auch viele thematische und harmonische Beziehungen zwischen den Sätzen. Die Harmonien im Trauermarsch können in allen drei anderen Sätzen bemerkt werden. Es gibt auch eine thematische Verwandtschaft zwischen der Nebenmelodie im ersten Satz und dem lieblichen Thema im Trio des Scherzo. Noch weitere Verknüpfungen zwischen den ersten beiden Sätzen gibt es: beide sind äußerlich stürmisch und treibend, beinhalten aber beide ein lyrisches zweites Thema. Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen den Hauptthemen in diesen beiden Sätzen ist auch eine Bemerkung wert: Jedes ist auf repetitiven Motiven aufgebaut, das erste davon wird zweimal gespielt, bevor es sich auf der Tastatur aufwärts bewegt, um die thematische Idee zu vervollständigen.
Letzten Endes ist diese Sonate, obwohl in mancherlei Hinsicht unorthodox, eine akribisch ausgearbeitete Komposition aus großer Subtilität, die wohl kaum nur aus einem Satz lose zusammenhängender Klavierstücke besteht. Aber trotz dieses großartigen und tiefgründigen Konzepts waren es schon immer Chopins Themen und Klaviersatz, die dieses Werk so beliebt machten. Das Thema des Trauermarsches des dritten Satzes zählt zu den bekanntesten überhaupt und die einnehmende Natur der schnellen Themen in den ersten Sätzen, sowie die ihrer Nebenmelodien, ließen diese Sonate auf der ganzen Welt beliebt werden. Eine durchschnittliche Aufführung des Werks dauert zwischen 22 und 26 Minuten.
(c) Robert Cummings
Kaufempfehlung:
Adam Harasiewicz (Klavier) Label: Decca, ADD, 1958-71
YouTube:
Vladimir Horowitz (Klavier) im Weißen Haus in Washington, D.C.
Lebensdaten: 16. November 1895 Hanau (Preußen) - 28. Dezember 1963 Frankfurt/Main
Werk: Mathis der Maler
Epoche: Moderne
Entstehungszeit: 1933/34
Besetzung: Orchester
Aufführungsdauer: ca. 26 Minuten
Sätze:
Engelkonzert
Grablegung
Versuchung des heiligen Antonius
Die neoklassizistischen (oder vielleicht besser gesagt neobarocken) Belange in Hindemiths aufsehenerregenden Instrumentalwerken der 1920er verbanden sich mit dem, das Hindemith später als wachsende Aufmerksamkeit für "die ethischen Gebote der Musik und die moralischen Verpflichtungen der Musikers" in seiner Oper Mathis der Maler bezeichnete. Hindemith ergründete den Konflikt, dem ein Künstler in turbulenten Zeiten gegenübersteht: die Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft wahrzunehmen, in der man lebt oder nur den künstlerischen Idealen treu zu bleiben, die er verficht. Mit der Geschichte des deutschen Renaissancemalers Matthias Grünewald konnte Hindemith seine eigene Situation kommentieren. Seine Haltung blieb den Nazis nicht unentdeckt und die Sinfonie, welche er der Oper entnahm, wurde nur auf Drängen des Dirigenten Wilhelm Furtwängler hin 1934 in Berlin uraufgeführt. Die Oper selbst wurde erst 1938 in Zürich zum ersten Mal gehört, nachdem Hindemith Deutschland verlassen hatte.
Hindemiths Inspiration für die Oper kam teilweise durch Grünewalds Meisterwerk, dem Isenheimer Altar, einem getäfelten Triptychon, dessen Struktur in der dreisätzigen Sinfonie gespiegelt wird. Der erste Satz, "Engelkonzert", dient als Ouvertüre der Oper und wurde hier vollständig übernommen. Nach ruhigen, breit angelegten Akkorden in den Streichern führen die Hörner ein auf dem deutschen Volkslied "Es sungen drei Engel" basierendes Thema ein, welches eine füllig orchestrierte, strahlende Klimax erreicht. Ein schnelleres Thema wird von Soloflöte und Streichern eingeführt und einer lebhaften, kontrapunktischen Verarbeitung mit einfallsreicher und hochgradig bunter Orchestrierung unterzogen, eine neue, neoromantische Klangwelt für Hindemith. Der Höhepunkt des Satzes stellt sich in zwei Teilen dar: das Volkslied kehrt in den Hörnern zurück, dann in voller Montur in den Blechbläsern; nach einem Moment an ruhigen Fugatostreichern versammelt sich das Orchester für die finalen, unverfrorenen (und unverfroren triolischen) Akkorden, während die Streicher läuten und Glocken und Triangel schimmern.
Der zweite Satz trägt den Titel "Grablegung" und stellt in der Oper ein kurzes Intermezzo dar, in dem Mathis' Trauer über den Tod seiner Tochter zum Ausdruck gebracht wird. In diesem spärlichen Klagelied überwiegen auf Quarten und Quinten basierende Harmonien, Intervalle, die der Komponist oft zum Ausdruck von Ernst verwendete. Flöte und Oboe verflechten sich über Pizzicatostreichern in einer zarten Klage; es gibt einen kurzen Aufschrei der Trauer, dann eine Rückkehr zur Besinnlichkeit des Anfangs, wo die Flöte eine Geste des Trostes anbietet.
Die Musik des ausführlichen Finales wurde der Szene der Oper entnommen, in der die Versuchung des Heiligen Antonius (eine der Szenen des Isenheimer Altars) mit den Versuchungen und Hindernissen Mathis' verglichen wird. Ein chromatisches Rezitativ für unisono spielende, tiefe Streicher bildet die thematische Grundlage der folgenden drei Episoden, beginnend mit einem schnellen Abschnitt in galloppierendem Rhythmus, der unnachgiebige Verfolgung und hoffnungslosen Kampf nahelegt. Ein beunruhigender, hoher Triller in den Violinen führt in den nächsten Abschnitt über, eine sinnliche Melodie für Bratschen und Celli, die die fleischlichen Freuden darstellen, welche St. Antonius (vergeblich) angeboten wurden. Die Unruhe des ersten Abschnitts kehrt zurück und erreicht eine Kadenz, an deren Punkt die Streicher die kontrapunktisch komplexe Auflösung beginnen, welche auf der gregorianischen Hymne "Lauda Sion salvatorem" beruht. Läutende "Hallelujas" in den Blechbläsern führen die Sinfonie zum Ende.
(c) Paul Hindemith, Mark Satola
Kaufempfehlung:
Sydney Symphony Orchestra, Dir. Werner Andreas Albert Label: CPO, DDD, 1987-92
YouTube:
Gustav Mahler Jugendorchester, Dir. Herbert Blomstedt 2010 bei den London Proms
Lebensdaten: 8. Dezember 1865 Hämeenlinna (Russland) - 20. September 1957 Järvenpää (Finnland)
Werk: Sinfonie Nr. 5 Es-Dur, op. 82
Epoche: Postromantik/Moderne
Entstehungszeit: 1914/15, rev. 1916, rev. 1919
Uraufführung: 21. Oktober 1921 in Helsinki
Besetzung: Orchester
Aufführungsdauer: ca. 32 Minuten
Sätze:
Tempo molto moderato - Allegro moderato - Presto
Andante mosso, quasi allegretto
Allegro molto - Un pochettino largamente
Sibelius komponierte zwischen 1915 und 1919 drei Versionen dieses Werks und dirigierte die Premiere der letzten davon am 21. Oktober 1921 in Helsinki. Sie ist zurückhaltend orchestriert: doppelte Holzbläser, Blechbläser ohne Tuba, Pauken und Streicher. Rechtzeitig zu seinem 50. Geburtstag, der in Finnland als Nationalfeiertag begangen wurde, stellte Sibelius eine erste Version seiner Fünften Sinfonie fertig und dirigierte sie, angelegt in vier Sätzen - erstaunlich umfangreicher als die finale Version und vergleichsweise unausgereift. (Wer neugierig ist sie zu vergleichen kann sich eine Aufnahme von 5/I vom BIS-Label anhören). Nur Teile der tiefen Streicher haben eine unmittelbar nach der Uraufführung begonnene Überarbeitung überlebt. Als er immer noch nicht zufrieden war überdachte und überarbeitete sie Sibelius im Laufe von zwei Jahren. Was daraus resultierte (5/III) wurde zur beliebtesten seiner sieben Sinfonien: ein Triumph des strukturellen Einfallsreichtums und eine Bestätigung für nicht-programmatische Musik zu einer Zeit, als Lisztianer jeder Couleur - insbesondere Richard Strauss und Gustav Mahler - "absolute" Kunst dekonstruierten.
Was sich im ersten Satz schließlich entwickelte ist eine Struktur, die mit der doppelten Exposition zweier Themengruppen beginnt, die zweite davon in G-Dur (wo die Streicher auftreten). Sibelius formulierte nicht nur sein grundlegendes Material um; sein Stimmungsbarometer reicht bis zu einer für die Fagotte als "düster" beschriebenen Passage. Durch eine Reihe an Tonarten erreicht er eine lange Durchführung, die sich zu einer Rekapitulation hin aufbaut, woraufhin sich der 12/8-Takt nach einer langsamen Beschleunigung plötzlich in 3/4-Takt, Es-Dur zu B-Dur verwandelt und Allegro moderato zum neuen Grundtempo wird. Was nun folgt wurde von einem separaten Scherzo-Satz der Version von 1915 geborgen - vollständig mit Trio - aber einer, der in die harmonische Wiederaufnahme der ersten beiden Themengruppen übergeht, gefolgt von einer Coda, die sich in ein Presto beschleunigt.
Das Andante mosso, quasi allegretto ist strukturell so simpel wie der erste Satz komplex ist, aber er ist nicht gerade simplifizierend: faktisch gibt es hier verschiedene Variationen über einen Rhythmus - zwei Gruppen von fünf Vierteln, getrennt von einer Viertelpause. Dieses "Thema" wird zunächst von Bratschen und Celli gespielt nach einem Motiv für Klarinetten, Fagotte und Hörner, das als Gegenmelodie zurückkehrt. Sibelius kreiert "sechs Melodien" (nach Michael Steinbergs Auffassung), die oberflächlich mehr oder weniger besinnlich sind, darunter aber mysteriös, kurzzeitig sogar turbulent mit einem transluziden Abschnitt (in acht Teile aufgeteilte Violinen), der reine Genialität erkennen lässt. Ebenfalls unter der Oberfläche findet man einen ersten Auftritt (von den tiefen Streichern) des proklamierenden Themas, das das Finale dominieren wird.
Die Streicher spielen das erste Thema in einem von manchen Sibelius-Anhängern so bezeichneten Rondo, andere bestehen darauf es hätte Sonatenstruktur. Es ist eine schwirrende und summende Angelegenheit, die im heroischen, zweiten Thema für Hornpaare gipfelt, welche in Triolen ganze Noten spielen. Das Momentum wird aufrecht erhalten, während die beiden Themen einen komplexen Kurs durch verschiedene Tonarten und ungeheuren Dissonanzen nehmen, den schließlich nur das Hornthema, von den Trompeten erneut gespielt, einer Machete im Dschungel ähnlich durchschneidet. Posaunen und Hörner gesellen sich dazu bis Sibelius Stille anordnet, der sechs Akkorde folgen, welche seine Fahrt in einen sicheren und fröhlichen Hafen einlaufen lassen.
(c) Roger Dettmer, Michael Steinberg
Kaufempfehlung:
Göteborgs Symfoniker, Dir. Neeme Järvi Label: DGG, DDD, 1992-2005