WAGNER: Lohengrin


Richard Wagner

Lebensdaten: 22. Mai 1813 Leipzig (Sachsen) - 13. Februar 1883 Venedig (Italien)
Werk: Lohengrin, WWV 75
Epoche: Romantik
Entstehungszeit: 1845-48
Uraufführung: 28. August 1850 in Weimar
Besetzung: Solisten, Chor und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden
Teile:
  1. Vorspiel
  2. Nr. 2, Gott grüss' euch, liebe Männer
  3. Nr. 3, Dank, König, dir
  4. Nr. 4, Einsam in trüben Tagen
  5. Nr. 5a, Wer hier in Gotteskampf
  6. Nr. 5b, In düst'rem Schweigen richtet Gott!... Du trügest zu ihm
  7. Nr. 6, Nun sei bedankt
  8. Nr. 7, Nie sollst du mich
  9. Nr. 8, Mein Herr und Gott, nun ruf' ich dich
  10. Nr. 9, Erhebe dich, Genossin meiner Schmach!
  11. Nr. 10, Euch Lüften, die mein Klagen so traurig oft erfüllt
  12. Nr. 11, Elsa!... Wer ruft?
  13. Nr. 12a, Entweihte Götter!
  14. Nr. 12b, Ortrud! Wo bist du?
  15. Nr. 12c, Du Ärmste kannst wohl nie ermessen
  16. Nr. 13, Gesegnet soll sie schreiten (Prozession)
  17. Nr. 14, O König! Trugbetörte Fürsten! Haltet ein!
  18. Nr. 15, Welch ein Geheimnis muss der Held bewahren
  19. Nr. 16, Mein Held, entgegne kühn dem Ungetreuen!
  20. Nr. 17, Vorspiel
  21. Nr. 18, Treulich geführt ziehet dahin
  22. Nr. 19a, Das süsse Lied verhallt
  23. Nr. 19b, Atmest du nicht mit mir die süssen Düfte?
  24. Nr. 19c, Höchstes Vertraun hast du mir schon zu danken
  25. Nr. 20a, Heil, König Heinrich!
  26. Nr. 20b, Habt Dank, ihr Lieben von Brabant
  27. Nr. 21, In fernem Land, unnahbar euren Schritten
  28. Nr. 22, Mein lieber Schwan!
Der Lohengrin stellt ein maßgebliches Werk in Richard Wagners Karriere dar. In puncto Struktur und Herangehensweise wird er üblicherweise ans Ende seiner frühen Opern gestellt; gleichzeitig weist er bereits viele der Ideen und Techniken auf, die in seinen späteren Musikdramen vollends verwirklicht werden sollten. Tatsächlich keimten bereits zur gleichen Zeit, als Wagner dieses Werk entwarf, viele der Ideen für seine späteren Werke, wie Tristan und der Ring-Zyklus, auf (und wurden in etwas vorläufiger Form sogar zu Papier gebracht). Andererseits korrespondiert die stilistische Trennung, die üblicherweise nach dem Lohengrin angesetzt wird, mit einer biografischen: nachdem er vor der Uraufführung der Oper in Weimar (1850, Franz Liszt dirigierte) für politisches Exil nach Zürich geflohen war, würde Wagner das nächste Jahrzehnt damit verbringen seine ästhetischen Ansichten durch eine Reihe an wichtigen Essays zu artikulieren. Diese sollten viele der in Lohengrin bereits angedeuteten Ideen in einen ausgewachsenen musikalischen Paradigmenwechsel verwandeln.

Die Geschichte für die Oper reifte beinahe ein Jahrzehnt heran. Wagner begegnete dem Lohengrin-Mythos das erste Mal 1841 und würde binnen fünf Jahren das Szenario für eine Oper über das Thema skizziert haben. Einige Jahre später, 1848, folgte die Musik. Die Geschichte ist im Antwerpen des 10. Jahrhunderts angesiedelt, wo Elsa, Schwester des Herzogs in spe Gottfried, des Mordes angeklagt wird. Eine mysteriöse Figur tritt auf, um sie zu verteidigen und sogar als Braut zu nehmen, befielt ihr allerdings keine Fragen bezüglich seines Namens oder seiner unbekannten Herkunft zu stellen. Ein Graf, Telramund und dessen Frau Ortrud, eine Zauberin, sind Elsas Ankläger und tatsächlich die eigentlichen Täter für Gottfrieds Verschwinden. Sie stellen eine Reihe an Intrigen, um Elsa zu überzeugen ihren mysteriösen Helden nach dessen Identität zu fragen und der Liebesgeschichte ein trauriges Ende zu bereiten, welches allerdings eine unerwartet frohe Auflösung bereithält: die Rückkehr Gottfrieds.

Indem er diese Handlung mit musikalischen Mitteln zum Ausdruck bringt demonstriert Wagner eine Reihe seiner charakteristischen Techniken, wie auch sein feines Gespür für mehrschichtige Dramen. Die Spannung zwischen Elsas Liebe für ihren mysteriösen Helden und ihre unbehagliche Neugier über seinen Hintergrund werden von der Halbtonbeziehung der mit ihnen assozierten Harmonien verkörpert (As-Dur und A-Dur). Ortruds unheilvolle Machenschaften legen einen gespenstischen Schatten aus verminderten Akkordklängen, sobald sie auftritt oder ihre Pläne greifen (dies wird besonders effektiv, als Elsa im dritten Akt Ortruds Täuschung nachgiebt und ebenfalls eine Version ihres Themas annimmt). Genauso stoßen die f-Moll-Klänge, die beständig für die "verbotene Frage" stehen ahnend mit den C-Dur-Harmonien zusammen, welche die Hochzeitsprozession am Ende des zweiten Aktes charakterisieren. Diese Arten dramatischer Ideen vereinen sich mit der offensichtlichsten: während sich die Oper um die Verkündung des unbekannten Namens dreht, steht das Publikum, welches durch den bloßen Titel des Werks recht ungezwungen die geheime Identität des Heldes erfahren hat, in dauerhafter Spannung mit den Protagonisten der Oper.

(c) Jeremy Grimshaw

Kaufempfehlung:

STRAWINSKY: Psalmensinfonie


Igor Strawinsky
Igor Strawinsky

Lebensdaten: 17. Juni 1882 Oranienbaum (Russland) - 6. April 1971 New York City
Werk: Psalmensinfonie (Symphonie de Psaumes)
Epoche: Moderne
Entstehungszeit: 1930
Uraufführung: 13. Dezember 1930 in Brüssel
Besetzung: gemischter Chor und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 20 Minuten
Sätze:
  1. Exaudi orationem meam, Domine
  2. Expectans expectavi Dominum
  3. Alleluja, laudate Dominum
Vor der Endphase seiner Karriere, während der er damit begann geistliche Musik in positivem Sinne auszuschütten, war die Anzahl der Vertonungen religiöser Texte in Igor Strawinsky Katalog relativ dünn gesät. Es gibt natürlich das Pater Noster von 1926 und das Credo von 1932, aber das einzige, wirklich umfangreiche Werk in ausdrücklich religiöser Stimmung, das vor der Messe von 1947 erschien, ist die berühmte Psalmensinfonie für Chor und Orchester, die Strawinsky 1930 im Zuge eines Auftrag komponierte, welcher ihm Sergei Kussewizki Ende 1929 gab. Die Partitur der Sinfonie wird dementsprechend passend von einer doppelte Widmung eingeleitet, die besagt, dass "diese Sinfonie für den Ruhm des Herrn komponiert und dem Boston Symphony Orchestra aus Anlass seines fünfzigjährigen Bestehens gewidmet wurde."

Wie die zehn Jahre zuvor komponierten Sinfonien für Holzbläser zwingt uns die Psalmensinfonie einen Schritt zurück zu machen und unsere musikalische Terminologie zu überdenken. Hier wird der Begriff "Sinfonie" mehr oder weniger in seinem ursprünglichen Sinn verwendet, nämlich das, was "klingt" oder "zusammen erklingt" und das ohne jeglichen Bezug entweder zum traditionellen mehrsätzigen Format, das die orchestrale Musik seit der Zeit Haydns dominiert oder der überaus persönlichen dramatischen Erzählung, zu der die Sinfonie im Verständnis der Mehrheit des musikalischen Publikums des 19. Jahrhunderts wurde. Der gewissermaßen widersprüchliche Titel des Werks reflektiert Strawinskys selbst formulierte Absicht eine Art perfekte Balance zwischen Stimmen und Instrumenten zu erreichen, in der keine von beiden eine Form der Überlegenheit über die anderen animmt. Wir können diese Dualität des Ausdrucks quasi mit der gleichen, in der Widmung des Werkes erwähnten Dualität der Geisteshaltung verbinden - wir finden hier eine wirkungsvolle Umsetzung der Idee, dass der Mensch und das Göttliche in der Kunst zwei bestimmte Gebiete des genau gleichen Raumes besetzen. Eine Idee, die dem Komponisten nach der Bekräftigung seines orthodoxen Glaubens in den 1920ern sicher auf dem Herzen lag. Die in der Sinfonie verwendeten, drei lateinischen Psalme (Psalme 38, 49 und 150) werden auf größtenteils homophone Weise behandelt, die die stärker kontrapunktische Struktur der Instrumente gleichermaßen scharf konstrastiert, wie auch mit unbeschreiblichem Gespür, welcher eine große Menge der prächtigen, spirituellen Stimmung der Sinfonie ausmacht, feierlich bestärkt. Technisch gesehen erschafft Strawinsky diese spirituelle Stimmung, indem er auf einige Elemente des Orchesters, die wir am Stärksten mit individueller Wärme und Ausdruck assoziieren - die vollen, hohen Streicher und die Klarinetten - komplett verzichtet und dazu empfiehlt, dass die Sopran- und Altpartien des Chors von einem Knabenchor übernommen werden.

Die drei Sätze werden ohne jegliche Pause gespielt. Der erste Satz tritt in beständigen Sechzehntel- und Achtelphrasen auf, worüber die stark in Halbtöne getauchten Stimmen ihre ernsten, sich langsamer bewegenden Gedanken liefern. Der zweite Satz ist als Doppelfuge angelegt, die erste nur für das Orchester, in der zweiten stimmen alle in den Psalm 39 überein. Kinetischer in seiner Natur ist der Finalsatz, der den Psalm 150 in Gänze enthält. Es gibt zwei Säulen rund um die zentrale, kraftvoll energische Aktivität - eine zur Einführung, eine zum Abschluss - die heiterere, verehrende Musik bieten. Die zweiten dieser Säulen wird in eine ausgedehnte Coda verwandelt, die auf einem unüblich weiträumigen C-Dur-Akkord endet, der ungeachtet der Schwierigkeit, die er für Tonstimmung und Balance darstellt (der erste Oboe beispielsweise wird das E eine Oktave plus ein Zehntel über dem Mittel-C gegeben), in sich scheinbar eine Reflektion der Ideale der Sinfonie zu übermenschlicher Klarheit zu enthalten scheint.

(c) Blair Johnston

Kaufempfehlung:
Deutsches Symphonieorchester Berlin, Windsbacher Knabenchor, dir. Karl-Friedrich Beringer
Label: Rondeau, DDD, 2000

YouTube:
Orchestra e Coro del Teatro alla Scala, dir. Riccardo Muti
in der Mailänder Scala
 

GOUNOD: Faust

Charles Gounod
Lebensdaten: 17. Juni 1818 (Paris) - 18. Oktober 1893 (Saint-Cloud, Frankreich)
Werk: Faust
Epoche: Romantik
Entstehungszeit: 1856-59
Uraufführung: 19. März 1859 in Paris
Besetzung: Solisten, Chor und Orchester
Teile:

  1. Nr. 1, Introduction
  2. Nr. 2a, Rien! En vain j'interroge
  3. Nr. 2b, Salut! ô mon dernier matin
  4. Nr. 3a, Mais ce Dieu
  5. Nr. 3b, Me voici! D'où vient ta surprise?
  6. Nr. 4a, À moi le plaisirs
  7. Nr. 4b, Ô merveille!
  8. Nr. 5, Vin ou bière [Kirchweiszene]
  9. Nr. 6a, Ô sainte médaille
  10. Nr. 6b, Avant de quitter
  11. Nr. 7, Le veau d'or
  12. Nr. 8, A votre sante! [Schwertszene]
  13. Nr. 9a, Nous nous retrouverons
  14. Nr. 9b, Ainsi que la brise légère
  15. Nr. 9c, Ne permettrez-vous pas
  16. Nr. 9d, Valse
  17. Nr. 10, Faites-lui mes aveux
  18. Nr. 11a, Quel trouble inconnu
  19. Nr. 11b, Salut! demeure chaste et pure (Salve dimora, casta e pura)
  20. Nr. 12a, Je voudrais bien savoir
  21. Nr. 12b, Il était un roi de Thulé
  22. Nr. 13a, Ô Dieu! que de bijoux!
  23. Nr. 13b, Ah! je ris [Juwelenarie]
  24. Nr. 14a, Seigneur Dieu, que vois-je!
  25. Nr. 14b, Prenez mon bras
  26. Nr. 15a, Il était temps!
  27. Nr. 15b, Il se fait tard!
  28. Nr. 15c, O nuit d'amour
  29. Nr. 15d, Il m'aime!
  30. Nr. 16, Elles ne sont plus là!
  31. Nr. 17, Si le bonheur (Als alles jung war)
  32. Nr. 18a, Deposons les armes
  33. Nr. 18b, Gloire immortelle [Soldatenchor]
  34. Nr. 19a, Qu'attendez-vous encore?
  35. Nr. 19b, Vous qui faites l'endormie [Mephistopheles' Serenade]
  36. Nr. 20, Que voulez-vous, messieurs? [Duelkszene]
  37. Nr. 21a, Par ici! [Valentins Tod]
  38. Nr. 21b, Écoute-moi bien
  39. Nr. 22, Seignuer, daignez permettre [Kirchenszene]
  40. Nr. 23, Walpurgisnacht
  41. Nr. 24a, Mon coeur est pénétré d'épouvante!
  42. Nr. 24b, Attends! Voici la rue
  43. Nr. 25a, Alerte! alerte!
  44. Nr. 25b, Anges purs
  45. Nr. 26, Ballett: 26a: Les nubiennes (Allegretto, Mouvement de valse)
  46. Nr. 26, Ballett: 26b: Adagio
  47. Nr. 26, Ballett: 26c: Danse antique (Allegretto)
  48. Nr. 26, Ballett: 26d: Variations de Cléopâtre (Moderato maestoso)
  49. Nr. 26, Ballett: 26e: Les troyens (Moderato con moto)
  50. Nr. 26, Ballett: 26f: Variations du miroir (Allegretto)
  51. Nr. 26, Ballett: 26g: Danse de Phryné (Allegro vivo)

Die ersten französischen Übersetzungen von Goethes Faust - ein literarischer Favorit für Romantiker allerorts - erschienen 1823, aber, wie sogar Goethe bemerkte, wurden sie an Qualität von Gérard de Nervals Übersetzung 1827 übertroffen. Nach diesen frühen Übersetzungen erlebte die französische Kunst einen Überfluss an Theaterstücken, Musikstücken und Gemälden, die auf der Geschichte basierten. Gounods Opernadaption, die am 19. März 1859 unter großen Beifall im Pariser Théâtre Lyrique uraufgeführt wurde, ist eine von zahlreichen musikalischen Behandlungen des Themas durch französische Musiker; darunter fallen Louise Bertins Oper Fausto (1831), sowie Hector Berlioz' "dramatische Legende" Fausts Verdammnis (1846).

Jules Barbier stellte das Libretto für Gounods Faust aus Ausschnitten zusammen, die er mit Erlaubnis des Autors, aus Michel Carrés Theaterstück Faust et Marguerite (1850) entnahm. Carré gab Barbier einen Blankoscheck, um aus seinem Theaterstück zu borgen; er selbst war damit beschäftigt das Libretto für Meyerbeers Le pardon de Ploërmel (Dinorah) zu schreiben und hatte daher kein Interesse das Theaterstück für eine Opernadaption zu bearbeiten.

Der Probenverlauf bis zur Uraufführung war schwierig; Gounod kürze an seiner Partitur beträchtliche Teile und ersetzte den Haupttenor, der sich als unzulänglich herausstellte, während der Kostümprobe. Diese Originalversion enthielt gesprochene Dialoge anstatt Rezitativen; 1860 unterstützte Gounod diese Abschnitte mit Musik und machte die Oper damit für die Darbietung in Opernhäusern außerhalb Frankreichs verfügbar. Das Werk genoss international tatsächlich beträchtliche Beliebtheit. Es profitierte insbesondere von den Umständen seiner Londoner Uraufführung, für die Gounod die heute berühmte Arie "Avant de quitter ces lieux" komponiert hatte. Die Rolle von Marguerites Bruder Valentin enthielt ursprünglich keine Arie, aber der Komponist wurde überzeugt sie aufgrund der Verdienste des talentierten Baritons Charles Santley hinzuzufügen; diese Arie zählt nun zu den berühmtesten Ausschnitten der Partitur. Für Fausts Uraufführung in der Pariser Oper 1869 komponierte Gounod ein komplettes Ballett, welches nahe an den Beginn des fünften Aktes plaziert wurde; es war vermutlich diese Produktion, die bisher üppigste des Werks, die Faust zu ihrem Status an unangefochtener Popularität in Frankreich verhalf - ein Status, den sie für fast ein Jahrhundert inne hielt.

Die Musik von Gounods Faust zeigt an jeder Ecke ihren Stand im Erbe der französischen Grand Opéra; Nummern aus klar definierter Form, Bel-Canto-Lyrik und ausdrucksstarker Orchestrierung kennzeichnen die Partitur. Viele wichtige Szenen werden wunderschön durch charakteristische, orchestrale Strukturen geschaffen. Die Erscheinung Marguerites an ihrem Spinnrad in der zweiten Szene des ersten Akts wird durch gedämpfte Streicher, Holzbläser und perlenden Tönen in der Harfe eingeführt; die ersten Violinen illustrieren die durchgehende Bewegung von Marguerites Spinnrad mit der zauberhaften Filigranität von 32tel-Noten, die damit ihr Spinnradlied ("Il ne revient pas") im vierten Akt andeuten. Ein Choral aus Trompete und Posaunen kündigt den Auftritt des frommen Valentin in der zweiten Szene des zweiten Akts an; seine erste Arie ("Avant de quitter ces lieux") folgt, welche in herkömmlicher Ternärform (ABA) steht. Eine Rondoform wird in der Struktur der fünften Szene des zweiten Aktes angedeutet, in der sich die wiederkehrende Walzermusik eines Balls mit kontrastierenden Episoden an individuellem Ausdruck abwechseln. Fausts Cavatina im dritten Akt ("Salut! demeure chaste et pure") ist ein klassisches Beispiel einer Cavatina in Ternärform der traditionellen Grand Opéra. Die vielleicht bekannteste Nummer der Oper ist Marguerites grüblerischer Chanson in Szene sechs des vierten Akts ("Il était un roi de Thulé"), eine modifizierte Art des für Grand Opéra gewöhnlichen Strophencouplets. Ebenfalls bemerkenswert ist Méfistofélés derbe und zuckersüße Serenade "Vous qui fete l'endormie", die er der schlafenden Marguerite singt; seine gesamte Geringschätzung ihrer menschlichen Würde stellt ein dramatisches Gegenstück zu ihrer Frömmigkeit und schließlichen Erlösung dar. Die Beifügung der Soloorgel in der dritten Szene des vierten Akts ist eine weitere besondere Eigenschaft des Orchesters.

Wie mit mäßiger Genauigkeit im Film "Zeit der Unschuld" gezeigt wurde, schien Faust für lange Zeit die unvermeidliche Auftaktoper zur neuen Saison der Metropolitan Opera in New York zu sein.

(c) Jennifer Hambrick

Kaufempfehlungen:
Boris Christoff, Victoria de los Angeles, Nicolai Gedda, Ernest Blanc, Liliane Berton, Rita Gorr (Solisten), Choeur et Orchestre du Théâtre National de l'Opéra de Paris, Dir. André Cluytens
Label: Warner, ADD, 1958

Alfredo Kraus, Nicola Ghiuselev, Ana María González, Roberto Coviello, Ambra Vespasiani, (Solisten), Orchestra Sinfonica dell'Emilia Romagna, Dir. Alain Guingal
Label: Hardy, ADD, 1986

YouTube:
Roberto Alagna, Inva Mula, Paul Gay (Solisten), Choeur et Orchestre de l'Opéra national de Paris, Dir. Alain Altinoglu
2011 in der Opéra Bastille (Paris)

BRUCKNER: Sinfonie Nr. 9 d-Moll

Anton Bruckner
Lebensdaten: 4. September 1824 Ansfelden (Österreich) - 11. Oktober 1896 Wien
Werk: Sinfonie Nr. 9 d-Moll, WAB 109
Epoche: Romantik/Postromantik
Entstehungszeit: 1887-96
Uraufführung: 11. Februar 1903 in Wien
Besetzung: Orchester
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde, 1 Minute
Sätze:

  1. Feierlich, misterioso
  2. Scherzo. Bewegt, lebhaft - Trio. Schnell
  3. Adagio. Langsam, feierlich

Während Bruckner mit seiner neunten und letzten Sinfonie voranschritt bat er Gott täglich um die Kraft sie zu vollenden, indem er sprach: "wenn er die Feder aus meiner Hand nimmt, so ist es seine Verantwortung." Zwichen 1889 und 1896 arbeitete der Komponist hartnäckig an der Neunten. Aber am 11. Oktober 1896 kam Bruckner nach einem Morgenspaziergang nach Hause und verstarb friedlich. Dabei hinterließ er die vermutlich bedeutsamste unvollendete Sinfonie seit Schubert.

Die Neunte wird oft als die wichtigste musikalische Verbindung zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert genannt, indem sie die Innovationen von Wagners Tristan noch einen Schritt weiter bringt. Die pochenden Rhythmen des Scherzo scheinen auf Strawinsky und Bartók vorauszublicken, während die großen Intervallsprünge und beißenden Dissonanzen auf die Zweite Wiener Schule voraussehen. Obwohl mit einem dreisätzigen Grundriss das Standardformat für Bruckners letztes sinfonisches Werk gewählt wurde, zeigen die letzten Skizzen (die zusammen mit ein paar "vervollständigten" Versionen des Finales aufgenommen wurden), dass Bruckner musikalischer Geist trotz nachlassender Gesundheit und gelegentlichen geistigen Ruhepausen bis zum Schluss lebensstrotzend und kreativ blieb. Der enorme vierte Satz hätte sogar den der Achten an Ausmaß übertroffen und nutzte eine Fuge, sowie Zitate aus dem Te Deum. Dennoch liegt auch etwas Befriedigendes und Erhabenes darin mit dem Adagio zu enden.

Das feierliche Summen, gegen das die Sinfonie beginnt, legt den Nährboden für einen außerweltlichen Konflikt, entwickelt sich zu einem Wirbelwind und bricht in das zerschmetternde Hauptthema aus. Dem folgt ein charakteristischer, hymnischer Abschnitt und ein rastloses, beinahe rockendes drittes Thema; in der Durchführung entsteht ein sich drehendes 6/8-Thema, welches später als treibende Kraft benutzt wird, gegen die sich die apokalyptische Coda auslebt und in einer bedrohlichen leeren Quinte endet. Kein Anzeichen eines Bauerntanzes oder irdischen Bildes bleibt im pochenden, dämonischen Scherzo über, welches an zweiter Stelle folgt; obwohl es mit elfenhafter Leichtigkeit beginnt, entwickelt sich selbst das Trio zu einer mysteriösen, knisternden Traumlandschaft aus vagen und beunruhigenden Bildern. Das folgende Adagio wird als Abschiedsrede zum Leben des Komponisten gedeutet. Der gequälte Sprung einer None kündigt eine sich langsam entfaltende Vision an, welche Tristan-ähnlich in eine Klimax an spiritueller Ekstase explodiert. Dem folgt ein wunderschönes, herbstliches Liedthema, das durch einen nostalgischen Rückblick auf die Freuden des Lebens zu strahlen scheint; dann tritt ein nüchternes, Marsch-ähnliches Thema auf, welches aus dem Beginn der Sinfonie abgeleitet wurde. Gegen eine stotternde Phrase aus Sechzehntelnoten gestellt, erhält das herbstliche Thema einen letzten Auftritt. Ihm gesellt sich nach und nach das noble hymnische Thema zu, das sich sukzessive mit Dissonanzen verbittert, während es in seiner versuchten Inbrunst sogar noch intensiver wird; dies baut sich bis zur berühmten Septdissonanz auf, beißend und erschütternd und wird gefolgt von einer noch erschütternderen Stille, als ob man ins Nichts starre. Doch dann verschiebt ein Motiv aus dem Beginn des Satzes die Musik heimlich zu einer letzten, heiteren Ebene. In der Coda zitiert Bruckner gekonnt aus seinen siebten und achten Sinfonien und verabschiedet sich so eloquent und bewegend aus der Welt.

(c) Anton Bruckner, Wayne Reisig

Kaufempfehlung:
Radio-Sinfonieorchester Saarbrücken, Dir. Stanisław Skrowaczewski
Label: Oehms, DDD, 2000
YouTube:
Wiener Philharmoniker, Dir. Leonard Bernstein

WALTON: Belshazzar's Feast

William Walton
Lebensdaten: 29. März 1902 Oldham (England) - 8. März 1983 Ischia (Italien)
Werk: Belshazzar's Feast
Epoche: Moderne
Entstehungszeit: 1931-57
Uraufführung: 8. Oktober 1931
Besetzung: Bariton, Chor, Orgel und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 34 Minuten
Teile:

  1. Thus spake Isaiah
  2. If I forget thee, O Jerusalem
  3. By the waters of Babylon
  4. Babylon was a great city
  5. Praise ye the God of Gold
  6. Thus in Babylon the mighty city
  7. And in that same hour, as they feasted
  8. Then sing aloud to God our strength
  9. The trumpeters and pipers are silent
  10. Then sing aloud to God our strength

1929 erhielt Walton den ersten Auftrag, den die BBC jemals an einen britischen Komponist vergab und zwar für ein Werk "für kleinen Chor, kleines Orchester mit nicht mehr als fünfzehn [Musikern] und Solist." Als Thema des Werks entschied sich Walton für den biblischen Fall Belshazzars (besser bekannt als Nebukadnezar, König von Babylon und despotischer Eroberer Jerusalems), wie er von seinem Freund und Gönner Sir Osbert Sitwell dramatisiert wurde. Ende 1930 berichtete ein Mitglied des Musikrates der BBC nervös, dass Waltons Unternehmung "auf solche Ausmaße angewachsen war, dass es nicht als ein Werk angesehen werden kann, welches speziell für die Radioübertragung geschrieben wurde".

Nichtsdestotrotz stellte der Komponist es fertig und das in großem Stil, nämlich inklusive zweier Blechblasabteilungen. Vor der Uraufführung im Oktober 1931 rief der Chor zum Streik auf und sagte das Werk wäre zu unmöglich schwer um aufgeführt zu werden. Der Komponist beantwortete Beschwerde folgendermaßen: "Ich weiß, dass es schwierig ist... aber es ist in natürlicher Form nicht für einen Kirchenchor geschrieben." Die Reichweite und das Drama des Werks, das der Kritiker Compton Mackenzie als "wie ein großer, explosiver Sonnenuntergang" beschrieben hatte, hat sich seither als unwiderstehlich für das Publikum erwiesen. Der angesehene britische Dirigent Henry Wood nannte es "wahrhaft wunderbar, als wenn die Welt zu ihrem Ende kommen würde."

Die Handlung setzt ein mit einer Beschreibung des materiellen Reichtums Babylons (ein beträchtlicher Abschnitt, den Thomas Beecham respektlos "Einkaufsliste" nannte"), darunter auch "die Seelen von Menschen". Der rohen Energie, in der die Unterdrücker ihre Götter aus Silber, Bronze, Gold und anderen wertvollen Besitztümer anbeten, folgt ein Chor an aufrichtiger Klage, denn die Israeliten bedauern ihr Schicksal und bekräftigen ihren Glauben an Gott. Während das Festmahl in Belshazzars Palast wilder und haltloser wird, erscheint eine mysteriöse, hebräische Nachricht an der Wand: "mene mene tekel uparsin" (Ihr wurdet gewogen und für zu leicht befunden). Die Rache erfolgt auf dem Fuße: "In dieser Nacht wurde der König Belshazzar getötet und sein Königreich zerteilt."

Walton schrieb Musik im großen Stil mit äußerstem Selbstbewusstsein und seine Orchestrierung, brillant und evokativ, steht in scharfem Kontrast zu dem, was mit Händel beginnend den größten Teil der englischen Chortradition darstellte.

(c) Roy Brewer

Kaufempfehlung:
Christopher Purves (Bariton), Huddersfield Choral Socieety, Leeds Philharmonic Chorus, English Northern Philharmonia, dir, Paul Daniel
Label: Naxos, DDD, 1996/2001
YouTube:
Bryn Terfel (Bariton), BBC Singers, BBC Symphony Chorus, BBC Symphony Orchestra, dir. Andrew Davis

PUCCINI: Turandot

Giacomo Puccini
Lebensdaten: 22. Dezember 1858 Lucca (Italien) - 29. November 1924 Brüssel
Werk: Turandot, SC 91
Epoche: Romantik/Postromantik
Entstehungszeit: 1920-24
Uraufführung: 25. April 1926 in Mailand
Besetzung: Solisten, Chor und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde, 40 Minuten
Teile:

  1. Nr. 1, Popolo di Pekino! [Stolze Menschen von Peking!]
  2. Nr. 2, Gira la cote!
  3. Nr. 3, Perchè tarda la luna?
  4. Nr. 4, O giovinetto!
  5. Nr. 5, Principessa! Pieta!
  6. Nr. 6, Fermo! che fai?
  7. Nr. 7, Non indugiare!
  8. Nr. 8, Signore, ascolta!
  9. Nr. 9, Non piangere, Liù!
  10. Nr. 10, Ah! per l'ultima volta!
  11. Nr. 11a, Olà, Pang! Olà Pong!
  12. Nr. 11b, O Cina
  13. Nr. 11c, Ho una casa
  14. Nr. 11d, Vi ricordare il principe regal
  15. Nr. 11e, Addio, amore
  16. Nr. 12a, Gravi, enormi ed imponenti
  17. Nr. 12b, Un giuramento
  18. Nr. 12c, Popolo di Pekino!
  19. Nr. 13a, In questa Reggia [In diesem Schlosse]
  20. Nr. 13b, O Principe, che a lunghe carovane
  21. Nr. 14, Straniero, ascolta!
  22. Nr. 15, Tre enigmi
  23. Nr. 16, Così comanda Turandot
  24. Nr. 17, Nessun dorma! [Keiner schlafe]
  25. Nr. 18, Tu che guardi le stelle
  26. Nr. 19, Principessa divina!
  27. Nr. 20, Tanto amore
  28. Nr. 21, Tu, che di gel sei cinta
  29. Nr. 22, Liù! Liù! Sorgi!
  30. Nr. 23, Principessa di morte
  31. Nr. 24a, Del primo pianto
  32. Nr. 24b, Diecimila anni al nostro imperatore!

Puccini stand kurz vor der Fertigstellung der Turandot, als er an den Folgen einer Operation gegen Kehlkopfkrebs relativ kurzfristig verstarb. Auf Geheiß Arturo Toscaninis stellte Franco Alfano, ein ehemaliger Student Puccinis, die Oper - das letzte Duett und die Schlussszene - fertig, indem er Puccinis Skizzen gebrauchte. Turandot wurde am 25. April 1926 im Teatro alla Scala von Mailand unter Toscanini uraufgeführt; eigenartigerweise verwendete der Maestro damals gar nicht Alfanos Ende, sondern ließ die Aufführung dort enden, wo Puccinis letzte Notizen aufhörten.

Turandots Libretto wurde von Giuseppe Adami und Renato Simoni entworfen und basiert auf Schillers Adaption eines Dramas von Carlo Gozzi. Die Geschichte ist im kaiserlichen China angesiedelt, der erste Akt beginnt nahe der Stadtmauern Pekings. Ein kaiserlicher Erlass der Prinzessin Turandot, Tochter des Kaisers, wird verlesen: sie wird den ersten Mann royalen Bluts ehelichen, der in der Lage ist drei Rätsel zu lösen. Ein Scheitern des Werbers wird in seinem Tod enden.
Von seinem Sklavenmädchen Liu begleitet, sinkt der alte, besiegte Tartarenkönig Timur, mittlerweile erblindet, zu Boden. Prinz Kalaf kommt ihm zur Hilfe und erkennt ihn als seinen Vater, zu dem er den Kontakt verloren hatte. Die sich außerhalb ansammelnde Menschenmenge verlangt nach dem Kopf des letzten gescheiterten Brautwerbers, des Prinzen von Persien. Kalaf schimpft über Turandots Grausamkeit die Hinrichtungen zu verlangen, als er sie aber erblickt verliebt er sich sofort in sie. Entgegen der Bedenken Timurs und Lius möchte Kalaf die drei Rätsel lösen, was ihm auch gelingt. Turandot bittet ihren Vater sie von den Bedingungen des Erlasses zu lösen, dies wird aber zurückgewiesen. Kalaf bietet jedoch an sein Leben zu opfern, wenn sie es schaffe seinen Namen vor Sonnenaufgang herauszufinden. Liu und Timur werden zu Turandot gebracht, letztgenannter begeht aber lieber Selbstmord als seinen Namen zu verraten. Später küsst Kalaf Turandot, als sie alleine sind und vertraut ihr in einem plötzlichen Sinneswandel seinen Namen an. Später treten sie vor den Kaiser und Turandot verkündet seinen Namen: Liebe.

Puccinis Partitur enthält seine übliche Reihe an beliebten Arien und brillanter Orchestrierung. Es gibt auch sehr wirksame Chöre: "Muoia! Noi vogliamo il carnefice", gesungen, als die Meute die Hinrichtung des Prinzen von Persien verlangt, sowie im dunklen und atmosphärischen "Arrota! Che la lama guizzi", gesungen von den Helfern des Henkers. Es sind aber die einzelnen Arien, die in dieser Oper am Bekanntesten sind. Lius "Signore Ascolta" ist der wunderschöne Versuch der Sklavin Kalaf davon abzubringen sich als Turandots Bewerber vorzustellen. Seine tiefempfundene Antwort liefert er mit seinem "Non piangiere, Liu".

Die bekannteste Arie in der Oper ist jedoch "Nessun dorma", gesungen von Kalaf, davon überzeugt, dass sie seinen Namen nicht erraten würde. Aufgrund des künstlerischen Werts dieser Komposition mag Turandot Puccinis beste Oper sein.

(c) Robert Cummings

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Éva Marton, José Carreras, Katia Ricciarelli, Orchester der Wiener Staatsoper, dir. Lorin Maazel
1983 an der Wiener Staatsoper

SIBELIUS: Violinkonzert d-Moll

Jean Sibelius
Lebensdaten: 8. Dezember 1865 Hämeenlinna (Finnland) - 20. September 1957 Järvenpää (Finnland)
Werk: Violinkonzert d-Moll, op. 47
Epoche: Postromantik/Moderne
Entstehungszeit: 1903-04
Uraufführung: 8. Februar 1904 in Helsinki
Besetzung: Violine und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 32 Minuten
Sätze:

  1. Allegro moderato
  2. Adagio di molto
  3. Allegro, ma non tanto

Das Violinkonzert ist nicht das einzige Werk, das der Finne Sibelius für Solovioline und Orchester geschrieben hat; er schrieb eine Reihe an exzellenten, kürzeren Werken, darunter Zwei Serenaden (1913) und Sechs Humoresken (1917). Aber das Konzert ist sicherlich das ambitionierteste all dieser Werke. Trotz der frühen Begeisterung einiger weniger Violinisten - insbesondere von Maud Powell, der in der US-Uraufführung mit den New Yorker Philharmonikern 1906 der Solist war und das Werk auf einer transkontinentalen Tour mehrfach spielte - gelang es dem Werk nur langsam beim Publikum Gefallen zu finden. Erst als Jascha Heifetz sich des Werkes annahm und es in den 1930ern aufnahm wurde das Konzert zu dem was es heute ist: eines der beliebtesten Konzerte aus dem Repertoire der nationalen Romantik.

Sibelius selbst war ein guter Violinist. Er begann mit 15 das Instrument beim Kapellmeister seiner Heimatstadt zu lernen und nahm kurze Zeit später an Kammermusikkonzerten teil und spielte auch in seinem Schulorchester. Er hatte das Gefühl zu spät in seinem Leben mit der Violine begonnen zu haben, um ein wahrer Virtuose zu werden, aber er schaffte es seiner intensiven Kenntnis vom Instrument auf diesem, seinem einzigen Konzert, das er 1903 fertiggestellt hatte, Ausdruck zu verleihen. Der Solist bei der Uraufführung sollte der Freund des Komponisten, Willy Burmeister, sein. Als aber terminliche Schwierigkeiten auftraten wurde die Ehre die Uraufführung des Werks am 8. Februar 1904 in Helsinki zu spielen an Viktor Nováček verliehen, Sibelius selbst dirigierte. Nach dieser gleichgültig rezipierten Aufführung nahm Sibelius das Werk für Überarbeitungen zurück. Letztendlich wurde das Werk gekürzt, darunter die Herausnahme einer Solokadenz und es enthielt einen helleren Orchesterklang. Die erste Aufführung der überarbeiteten Partitur fand am 19. Oktober 1905 in Berlin statt mit Richard Strauss als Dirigenten, sowie Karl Halir, einem Mitglied von Joseph Joachims Quartett, als Solisten.

Sibelius hegte nicht die größte Hochachtung für Violinenvirtuosen oder für viele der für sie komponierten Werke. In seinem Konzert schafft er es eine ideale Balance zwischen instrumentaler Brillanz und den reiner musikalischen, strukturellen und emotionalen Werten zu schaffen. Einmal gab er einem Schüler einen Rat über das Komponieren von Konzerten und sagte, dass man die Geduld des Publikums (und die Dummheit mancher Solisten!) beachten und lange, rein orchestrale Passagen vermeiden solle. Er nahm seinen eigenen Rat sicherlich zu Herzen, da der Violinist das ausdrucksstarke Hauptthema des ersten Satzes im vierten Takt aufnimmt und das Rampenlicht für den Rest des halbstündigen Konzerts kaum mehr verlässt.

Der in Sonatenform angelegte Anfangssatz kontrastiert Passagen der Zurückhaltung und Melancholie mit Passagen großer Kraft und Intensität. Eine unübliche Eigenschaft ist die Kadenz für den Solisten mitten im Satz, die einige Qualitäten mit ähnlichen Passagen der großen Virtuosenkonzerte des 19. Jahrhunderts teilt, aber substanzieller ist und stärker integriert in die Gesamtform des Stücks. Holzbläserduette beginnen den langsamen, zweiten Satz, woraufhin der Solisten die füllige, fast Tschaikowski-hafte Hauptmelodie aufnimmt. Später im Satz hat der Violinist einen teuflischen, zweiteiligen Kontrapunkt zu spielen. Dies ist nur eine der zahlreichen, technischen Hürden, die der Solist in diesem Werk bewältigen muss; viele mehr treten im brillanten, tänzerischen dritten Satz auf mit seinem insistierenden Rhythmus und der volkstümlichen Anordnung seiner Melodien. Die Aufregung und das Momentum dauern bis ganz zum Ende des Werks fort.

(c) Chris Morrison

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Maxim Vengerov (Violine), Chicago Symphony Orchestra, dir. Daniel Barenboim
aus der Philharmonie in Köln