JOSQUIN: Missa Pange lingua

Josquin Desprez
Lebensdaten: zwischen 1450 und 1455 nähe Saint-Quentin (Frankreich) - 27. August 1521 Condé-sur-l'Escaut (Frankreich)
Werk: Missa Pange lingua
Epoche: Renaissance
Entstehungszeit: 1514
Besetzung: Chor
Aufführungsdauer: ca. 19 Minuten
Teile:

  1. Kyrie
  2. Gloria
  3. Credo
  4. Sanctus
  5. Benedictus
  6. Agnus Dei I
  7. Agnus Dei II
  8. Agnus Dei III

Josquin Desprez genoss die höchste Anerkennung sowohl seiner Zeitgenossen (Martin Luther nannte ihn den "Meister der Noten"), als auch Musikhistoriker seit seiner Zeit. Eine Generation vor ihm präsentiert die Musik Dufays sich entwickelnde Vorstellungen von gleichstimmiger Polyphonie und formaler Balance in großem Umfang; später ergründete Ockeghem den imitativen Stil und die rhythmische Intensität weiter. Doch bei Josquin (und seinem nahen Zeitgenossen Obrecht) erreichte der sogenannte "niederländische" Stil der Hochrenaissance einen frühen Höhepunkt. Er komponierte flüssig und gut in jedem zeitgenössischen Genre der Musik, geistlich und weltlich. Von seinen 18 zuverlässig ihm zugeschriebenen Messen verdient die Missa Pange lingua ihre hohe Beliebtheit aufgrund der Schönheit einzelner Momente, als auch der Eleganz ihres formalen Aufbaus.

Ein prominenter Biograf nennt dies selbstbewusst die "letzte von Desprez komponierte Messe", aber es gibt keine zeitgenössischen Quellen, die dies zuverlässig datieren können. Wissenschaftler, die stilistische Kriterien und die Tatsache heranziehen, dass diese Messe nicht in Petruccis dritter Ausgabe von Josquins Messen (1514 veröffentlicht) erscheint, stimmen aber grundsätzlich darin überein, dass sie spät in seinem Oeuvre platziert wird. Die Messe erhält ihren Namen aus der Corpus-Christi-Hymne "Pange lingua" von Thomas von Aquin. Diese Melodie mit ihrer starken Halbtonbewegung zu Beginn und dem anmutigen Bogen wird zur vereinenden Kraft in Josquins Komposition. Während bis dahin der übliche kompositorische Rahmen eine geliehene Melodie in einem einstimmigen Cantus firmus verwendet (so wie seine eigenen Messen über L'ami baudichon und L'homme armé), nimmt Josquin in dieser Messe die Hymnenmelodie und fügt sie in die musikalische Substanz des gesamten Werks ein. Die eleganten Motto-Beginne eines jeden großen Satzes stammen aus der ersten Phrase der Hymne. Zusätzlich wird diese Phrase auf viele subtile Arten widergehallt. Josquin fügt beispielsweise Echos ein, die aus kleinen Intervallen bestehen und nutzt hierfür vokale Imitation, die sich durch den widerhallenden Halbton manifestiert. Es gibt auch regelmäßige Verzierungsabschnitte, die nach beendenden Kadenzen folgen. Verschiedene Sätze, wie das Kyrie und Agnus Dei III, die den Zyklus umrahmen, ziehen ihre gesamte Struktur in Kadenz und Form aus den Phrasen der Hymne. Doch trotz einer solch vollständigen Imprägnation des Werks mit der Substanz des Choralmodells, verpasst Josquin dennoch kaum eine Chance, um seine Darstellung des Ordinariumtextes durch Symbolismus und Wortmalerei zu verstärken. Im Gloria beispielsweise verdünnt Josquin beim Text "Qui tollis peccata mundi" die Struktur zu einem richtigen Kanon, was aus den vorherigen Momenten heraussticht. Und die Struktur verwandelt sich unmittelbar zu einem kontrastierenden und introspektiven Effekt beim Ruf "Miserere nobis". Josquins Momente größter kompositorischer Zurückhaltung, wie die Stille von "Et incarnatus est" oder die nackte, kanonische Struktur, die das Benedictus beginnt, spiegeln keinen emotionalen Rückzug wieder, sondern eher größere Ernsthaftigkeit auf der einen Seite und auf der anderen ein Gefühl der Erwartung. Josquin behandelt die Bittgesuche des "Agnus Dei" als klarer Gipfelpunkt des Zyklus und ruft dieses Gebet mit komplexer Subtilität hervor, beginnend mit einer dreifachen (dreifaltigen?) Halbtonimitation und abschließend mit einer Veränderung der tatsächlichen Wahrnehmung von Zeit durch ein Netz an gleichzeitig erklingenden rhythmischen Stufen: die nun bekannte Melodie tritt in der Sopranstimme auf und schwebt dort bei halber Geschwindigkeit über den unterstützenden Stimmen und alle Stimmen geben sukzessive nach zu einem verträumten, imitativen Mantra des Schlussgebets "dona nobis pacem (schenke uns Frieden)". Die unbeschreibliche Bewegung des Geistes, die aus diesem Hörerlebnis resultiert ist, was uns bis heute mit diesem Meisterwerk verknüpft.

(c) Timothy Dickey

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