HAYDN: Streichquartett Nr. 77 C-Dur "Kaiserquartett"

Joseph Haydn
Lebensdaten: 31. März 1732 Rohrau (Österreich) - 31. Mai 1809 Wien
Werk: Streichquartett Nr. 77 C-Dur, Hob. III:77 "Kaiserquartett"
Epoche: Klassik
Entstehungszeit: 1797
Besetzung: Streichquartett
Aufführungsdauer: ca. 26 Minuten
Teile:

  1. Allegro
  2. Poco Adagio. Cantabile
  3. Menuetto - Trio
  4. Finale. Presto

Dies ist sowohl das bekannteste, als auch berüchtigste der Streichquartette Haydns, alles nur, weil der zweite Satz, eine wunderschöne Hymne, später vom bösesten Regime des 20. Jahrhunderts misshandelt wurde. Damals im späten 18. Jahrhundert stellte Napoleon eine ernste Bedrohung für das Habsburger Kaiserreich dar; nachdem seine Armeen 1796 die Steiermark angegriffen hatten, trieb dies Haydn zu einem Ausbruch an Nationalismus. Als sogenanntes Kaiserlied vertonte er patriotische Worte von L.L. Haschka und hatte damit einen unmittelbaren Erfolg in seiner Hand. Er war entschlossen alle "popularisierten" Arrangements selbst zu schreiben, darunter eines für Streichquartett. Dieses wurde zum langsamen Satz des dritten Quartetts seiner Sammlung opus 76. Die bewegte, ehrwürdige Melodie war zu gut um sie beiseite zu legen. Spätere Komponisten wie Czerny und Smetana gliederten sie in eigene Werk ein. Und ein paar Jahrzehnte nach dem endgültigen Zusammenbruch des österreichischen Kaiserreichs beschlagnahmten die Nazis die Melodie für das Lied "Deutschland über alles". Dies schränkte die Beliebtheit des Quartetts unter den Alliierten während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein, dieser Fleck wurde aber schon bald abgeschwemmt.

Das ganze Quartett scheint eine patriotische Angelegenheit zu sein, sobald man erkennt, dass der erste Takt des beginnenden Allegros ein musikalisches Anagramm ist. Seine Noten korrespondieren mit den ersten Buchstaben der Worte "Gott erhalte Franz den Kaiser" (für "Kaiser" wurde ein C verwendet); dies wiederum ist die Anfangszeile des Kaiserlieds, auf dem der zweite Satz beruht. Das ist kaum auffällig, wenn man nicht gerade die Partitur studiert, denn man hört nur eine helle, vergnügte C-Dur-Melodie, der die erste Violine schon bald einen obsessiv punktierten Rhythmus zuordnet. Im späten 18. Jahrhundert wurde dieser Rhythmus übrigens symbolisch mit königlichen Anlässen assoziiert. Das gesamte thematische Hauptmaterial des Satzes leitet sich aus diesem kurzen Stück Musik ab. Die Durchführung enthält eine für Haydn charakteristische Überraschung: eine ungarische Szene in E-Dur mit einer zigeunerhaften Begleitung aus starken Akzenten auf unbetonten Schlägen. Dies war Haydns Tribut an die ungarischen Aristokraten, die Haydn anstellten und diese Quartette in Auftrag gegeben hatten; sie übernahmen einen Großteil der Rechnung für den Krieg des Kaisers gegen Napoleon.

Der zweite Satz, Poco Adagio - Cantabile, beginnt mit einem besonders zarten Auftritt der Kaiserhymne und nimmt daraufhin vier Variationen daran vor. Die erste ist eine ruhige, aber kunstvolle Ausarbeitung für die erste Violine, während die zweite Geige das Thema in seiner Originalform spielt. Die nächste Variation verlegt das Thema zum Cello hinab, während die Bratsche und zweite Violine die Harmonie liefern und die erste Violine den Kontrapunkt bietet. Schließlich erhält die Bratsche ihren eigenen Auftritt des Themas in der dritten Variation, während die darüber- und darunterliegenden Instrumente sich darum schlängeln. Zu guter Letzt kommt eine üppig harmonisierte Version des Themas mit ausgeklügelteren inneren Stimmen als zu Beginn, aber nichts so komplexes wie das, was dazwischen stattgefunden hat.

Das Menuett ist ein gut gelaunter Salontanz, besonders gekennzeichnet von einer leicht spöttischen, nach unten gleitenden Phrase in der ersten Violine. Das Trio ist eine vorsichtig klingende Variation des Hauptthemas des Menuetts.

Das Presto-Finale wirft uns in etwas, das ein Wissenschaftler als eine Gefechtsszene in c-Moll beschrieben hat: Franz gegen Napoleon. Der Satz beginnt mit drei lauten, zerklüfteten Akkorden und lässt schließlich die erste Violine ein Trommelfeuer aus acht Noten abfeuern, die Musik ist aber nur wenig explizit militaristisch. Nachdem dieses Material intensiv verarbeitet wurde, kehrt das Hauptthema in einer C-Dur- Version zurück, die zweifellos optimistisch klingt, doch nicht unbedingt triumphal.

(c) James Reel

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