MONTEVERDI: Vespro della beata vergine

Claudio Monteverdi
Lebensdaten: 15. Mai 1567 Cremona - 29. November 1643 Venedig
Werk: Vespro della beata vergine, SV 206
Epoche: Barock
Entstehungszeit: 1610
Besetzung: Solisten, Chor und Orchester
Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde, 30 Minuten
Teile:

  1. Domine ad adiuvandum
  2. Dixit Dominus
  3. Nigra sum sed formosa
  4. Laudate, pueri, Dominum
  5. Pulchra es, amica mea
  6. Laetatus sum
  7. Duo Seraphim clamabant
  8. Nisi Dominus aedificaverit domum
  9. Audi, coelum, verba mea
  10. Lauda, Jerusalem, Dominum
  11. Sonata sopra 'Sancta Maria' ora pro nobis
  12. Ave maris stella
  13. Magnificat 1 à 7
  14. Magnificat 2 à 6

Die historische Bedeutung dieses Werks ist fast so groß wie seine zugrunde liegenden Qualitäten. Vespern sind Bestandteile des täglichen Offiziums oder Stundengebets der Kirche, Musik für das Offizium umfasst Psalmen (mit Antiphonen), Hymnen und Lobgesänge, sowie skandierte Lesungen (mit Responsorien). Obwohl sie vom kirchlichen Offizium inspiriert wurden, übersteigen Monteverdis Vespern das ursprüngliche Konzept in vielerlei Art und veranschaulichen perfekt den Übergang zwischen strenger Polyphonie der Renaissance und der schieren Pracht des Barock. Monteverdi liefert seinen charakteristischen Beitrag zur sakralen Musik in einem kühnen, fast opernhaften Stil, voller gewagter Effekte an Stereophonie und Echo und enthält eine Suite an instrumentalen Tänzen, Konzertabschnitten sowohl für Stimmen und Orchester, sowie ein Liebeslied. Bis zu welchem Punkt das noch liturgische Musik ist, ist in Anbetracht der Textauswahl diskutabel, denn einige darunter wurden zu Monteverdis Zeit als blasphemisch angesehen. 1610 fertiggestellt wurden die Vespern für den Hof der Familie Gonzaga in Mantua geschrieben, wo Monteverdi von 1590 bis 1612 angestellt war und an Papst Paul V. gewidmet. Das wahre Zuhause der Komposition ist aber zweifellos der Markusdom in Venedig, wo Monteverdi 1613 zum Maestro di cappella ernannt wurde. Die Vespern hätten gut und gerne mit seinen widerhallenden Räumen, Galerien, Balkonen, der Orgel und den Choremporen im Hinterkopf geschrieben worden sein.

Die Abschnitte enthalten verblüffende Kontraste, die Einheit und Kontinuität von Monteverdis großem Plan werden aber theatralisch und musikalisch beibehalten. Die Ouvertüre für Chor und Orchester ist deutlich opernhaft und eng verwandt mit der zu Monteverdis erster Oper Orfeo - eine Aufwallung an überbordender Energie, zwischengeschalten von einer orchestralen Toccata und einem Ende mit einem jubilierenden Halleluja. Die Instrumentierung (Kornette, Barockposaunen, eine Bandbreite an einfachen und doppelten Schnarren, Blockflöten, Streicher, Orgel und Cembalo) ist mit Ausnahme der instrumentalen Ritornelli größtenteils dazu gedacht zur formalen Struktur der Chorteile beizutragen und den Chor in der Art von Orgelregistern einzufärben, wie im "Dixit Dominus", "Laetatus sum", "Audi, coelum", sowie dem Anfang und Ende des abschließenden Magnificat, der Klimax des gesamten Werks. Die Art, wie Monteverdi den Cantus firmus behandelt, indem er ihn in den Kontrapunkt der Chorpartitur einbaut, wie in "Dixit Dominus" (Psalm 109), findet man in früherer Chorliteratur nirgendwo, genausowenig wie den fließenden, unbehinderten Parlandostil (Rezitation), der in "Nigra sum" angewendet wird, einem metrisch freien Gedicht mit Andeutungen auf das biblische Hohelied. Das Konzert "Duo Seraphim" ist wahrscheinlich der interessanteste Teil der Vespern. Es ist für zwei "beantwortende" Stimmen angelegt - eine Art Sangeswettstreit für Engel - und übersteigt fast die Grenzen menschlicher Gesangstechnik. Auch die Chorpartitur ist in ihrer Pracht und Komplexität herausfordernd, vieles davon in sechs, sieben und im Psalm "Laudate pueri" sogar achtstimmig; doch auch die Simplizität der zweistimmigen Hymne Ave Maris stella zählt zu den vielen Schätzen dieses prachtvollen Werks.

Es war nicht einfach zu zufriedenstellenden, modernen Wiedergaben der Vespern zu gelangen und Interpretationen unterscheiden sich in wichtigen Details. Die Titelseite der ersten Ausgabe ist mit "ad Sacella sive Principum Cubicula accomodata Opera" (zur Nutzung ausschließlich in fürstlichen Räumen und Kapellen) bezeichnet, doch leider haben verschiedene neuzeitliche Herausgeber versucht es als riesiges Chorwerk anzusehen und ignorierten damit die vergleichsweise kleinen Kräfte, die nötig sind um seine Erhabenheit umzusetzen. Dieses Werk war kaum bekannt und nicht aufgenommen bis zu den 1930ern, als Musikwissenschaftler wie Nadia Boulanger die Rätsel und Komplexitäten authentischer Barockkonzerte untersuchten.

(c) Roy Brewer

Kaufempfehlung:
Mechthild Bach, Barbara Fleckenstein, Christoph Prégardien, Peter Schmitz, Klaus Mertens, Michael George (Solisten), Vokalensemble Frankfurt, Instrumentalensemble "Il Basso", Dir. Ralf Otto
Label: Capriccio, DDD, 1993
YouTube:
Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Dir. John Eliot Gardiner
2014 im Schloss von Versailles

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