TSCHAIKOWSKI: Romeo und Julia

Pjotr Tschaikowski
Lebensdaten: 7. Mai 1840 Wotkinsk (Russland) - 6. November 1893 St. Petersburg (Russland)
Werk: Romeo und Julia (Romeo i Dschuljetta)
Epoche: Romantik
Entstehungszeit: 1869
Uraufführung: März 1870 in Moskau
Besetzung: Orchester
Aufführungsdauer: ca. 20 Minuten

Zahlreiche Komponisten gingen auf Shakespeares zeitloses Drama über verbotene und jugendliche Liebe ein, aber Tschaikowskis Umsetzung (zusammen mit Berlioz' und Prokofjews) ist die Beste. Es ist die einzige der Dreien, die als Stück eines sinfonischen Konzerts gedacht ist und damit von vornherein die bekannteste davon.

Tschaikowski, ein Anwalt, befand sich als Komponist mit 29 Jahren noch in der Entwicklung, als Mili Balakirew (eine selbst ernannte Vaterfigur für russische Komponisten) ihn dazu überredete ein Orchesterwerk über das Thema der "Liebe unter schlechtem Stern" zu schreiben. Balakirew entwarf die Gestalt, plante die Tonarten und legte sogar einen Teil der tatsächlichen Musik nahe. Nach der Uraufführung 1870 überzeugte er Tschaikowski es zu überarbeiten. Der Erfolg des Werks in dieser Form verhalf der Neigung des Komponisten zu lähmendem Zweifel sich in nützliche Selbstkritik zu verwandeln. (Nicht, dass diese Verwandlung jemals vollständig geworden wäre; Tschaikowski litt die gesamte Karriere hindurch unter Anfällen von Depression und Selbstzweifel). Der Komponist überarbeitete es 1880 erneut; diese Version ist fast immer diejenige, die gespielt wird. Obwohl die finale Version vermutlich die beste ist, ist auch die von 1869 ein schönes Werk und absolut wert gehört zu werden. Die frühere Version beginnt mit einer lieblichen Melodie, die Elemente des großartigen Liebesthemas enthält. In der ersten und zweiten Überarbeitung entfernte Tschaikowski dies und ersetzte sie mit dem segensreichen Thema, das Bruder Lorenzo darstellt. Die Auswirkung dieses Wechsels auf die Struktur der Ouvertüre ist groß. die erste Version scheint mit einer Julia zu beginnen, die noch in relativem Kindesalter zu sein scheint, aber bereits mit dem vorhandenen Potenzial zu der großen Liebe, das in verwandelten Vorahnungen des Liebesthemas auftritt. Der Fokus liegt demnach auf der Entwicklung des Dramas, wie es sich entfaltet. Die späteren Versionen, die mit einem Gebet beginnen, scheinen den Hörer mit auf einen Blick zurück auf eine Tragödie zu nehmen, die bereits stattgefunden hat.

Beide Versionen verlaufen identisch durch Schilderungen der Konflikte zwischen den Häusern Montague und Capulet und enthüllen dann die großartige Liebesmusik. Danach erscheint mir allerdings Tschaikowskis ursprüngliche Idee die bessere zu sein: es gibt eine großartige Durchführung, die fugenähnlich klingt und einen kontrapunktischen Konflikt gestattet, der auf den wichtigsten Rhythmen und Themen der Ouvertüre basiert. Sie ist ungemein spannend, definitiv mehr als die Musik, durch die sie ersetzt wurde. Eine Begründung für ihr Entfernen könnte nach der Denkweise gefunden werden, dass die Originalversion ein zu großes dramatisches Gewicht hat und den Rest der Musik überschattet. Die größten Unterschiede danach liegen in Details der Orchestrierung und im Finale, das in der Originalversion viel zu kurz gerät.

Es ist oft aufschlussreich zu sehen, was ein Komponist zu zwei verschiedenen Zeitpunkten aus den gleichen Ideen und Material gemacht hat. Ob sie nun größeres musikalisches Potenzial hat oder nicht, stellte Tschaikowskis Absegnen seiner finalen Version sicher, dass es die Version ist, die überdauert und in dieser Form wird sie als eines der großartigsten Programmstücke im sinfonischen Repertoire akzeptiert. Insbesondere das sehnsüchtige Liebesthema wird allgemein als eine der großartigsten Melodien aller Zeiten anerkannt, während die aufregende Kampfmusik und Tschaikowskis unfehlbar klare und fantasievolle Orchestrierung den Hörer mit kaum einem Fehltritt hindurch geleiten. Die Originalversion ist in ihrem musikalischen Wert jedoch nicht weit dahinter; man sollte ihr häufigere Wiederbelebungen verpassen und wenn es nur ist, um die zuvor beschriebene,großartige Fugatopassage zum Hören zu bringen.

(c) Joseph Stevenson

Kaufempfehlung:
London Symphony Orchestra, Dir. Geoffrey Simon
Label: Chandos, DDD, 1981/82
YouTube:
London Symphony Orchestra, Dir. Waleri Gergijew

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