BRAHMS: Sinfonie Nr. 4 e-Moll

Johannes Brahms
Lebensdaten: 7. Mai 1833 Hamburg - 3. April 1897 Wien (Österreich)
Werk: Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98
Epoche: Romantik
Entstehungszeit: 1884-85
Besetzung: Orchester
Uraufführung: 25. Oktober 1885 in Meiningen (Sachsen-Meiningen)
Aufführungsdauer: ca. 40 Minuten
Sätze:

  1. Allegro non troppo
  2. Andante moderato
  3. Allegro giocoso
  4. Allegro energico e passionato - Più allegro
Dass Brahms die Gattung der Sinfonie ursprünglich mit Verzagtheit anging wird in der Chronologie seiner Werke ziemlich offenkundig. Seine erste Sinfonie stellte er erst im Alter von 43 Jahren fertig. Tatsächlich legen die Werke des Komponisten bis zu diesem Punkt einen bewussten Prozess der Selbstbildung nahe. Eine Zahl an orchestralen Werken kleineren Umfangs, darunter die Variationen über ein Thema von Haydn und das proto-sinfonische Klavierkonzert Nr. 1 deuten eine Vorbereitung auf das an, was Brahms eindeutig als eine unausweichliche kompositorische Aufgabe ansah. Er sollte der Herausforderung mit Talent und individuellem Geist begegnen, einem in Klassizismus fußenden, gebrochen durch das Prisma der hohen Romantik, was viele ihn zum Erben Beethovens küren ließ.

Brahms' vierte Sinfonie (1885), seine letzte, bereitet seiner Arbeit in diesem Genre einen passenden Abschied mit ihrer ernsthaften Stimmung, beeindruckenden Komplexitäten und einem genialen Aufbau. Dass ihr Einfluss unmittelbar war, trotz einer anfänglichen Rätselhaftigkeit, wird aus dem Bericht des Biografen Max Kalbeck über ihre erste Aufführung (mit zwei Klavieren) für ein kleines und erlesenes Publikum deutlich:

"Nach dem wunderbaren Allegro... erwartete ich, dass einer der Anwesenden in ein lautes 'Bravo' ausbrechen würde. [Dirigent Hans] Richter murmelte in seinen blonden Bart etwas, das aus Entfernung als Ausdruck der Zustimmung gedeutet wird... die Anderen blieben hartnäckig ruhig... schließlich knurrte Brahms: 'Also, los geht's!' und gab das Zeichen fortzuführen; woraufhin [der angesehene Kritiker Eduard] Hanslick einen Seufzer ausstieß und sich schnell Luft machte, als ob er seinen Geist befreien musste und dennoch fürchtete zu spät die Stimme zu erheben: 'diesen gesamten Satz über hatte ich das Gefühl, als ob ich von zwei unglaublich intelligenten Menschen geschlagen würde...'

Jeder der Sätze trägt den eindeutigen Stempel der Persönlichkeit des Komponisten. Der erste beginnt mit einem Thema in e-Moll, das auf dem Intervall der Terz basiert, welches auch eine strukturelle und motivische Grundlage für den Rest des Werks liefert. Von Anfang bis Ende gibt es ein spürbares Gefühl der Unruhe und die tragische, fast fatalistische Atmosphäre wird weiter und beeindruckend unterstrichen von der finalen Plagalkadenz (IV-I) in Moll. Der zweite Satz, der mit einer kurzen, melancholischen Art Fanfare beginnt, macht Platz für die ruhig begleiteten Bläser in vielleicht einem der lieblichsten Themen des Komponisten überhaupt, dem ein spezieller Widerhall verliehen wird durch die Nutzung der kleinen Sexte und Siebte in der Skala, die aus der Moll-Tonart entliehen sind. Dieses Material wird sukzessive zu einem aufsteigenden Gefühlsüberschwang in den Tutti entwickelt, welcher dann in ätherischer Ruhe aufgelöst wird. Der dritte Satz ist ein herzhafter, stampfender Tanz in geradem Takt, der sich zu Brahms' Lebzeiten als so beliebt herausstellte, dass das Publikum beständig nach dessen Zugabe forderte. Der letzte Satz ist der vielleicht bemerkenswerteste von allen, da er in der "archaisch" barocken Form einer Chaconne angelegt ist - Variationen über einem ostinaten Bass. Das Thema der Chaconne ist tatsächlich eine kleine Modifizierung des von Bach in seiner Kantate Nr. 150 verwendeten; obwohl trügerisch simpel - im Grunde ein absteigender Moll-Skalenausschnitt von der Tonika zur Dominante, danach ein Sprung zurück zur Tonika - nutzt Brahms dieses Skelett als Basis für einen zunehmend verzwickten und thematisch harmonischen Rahmen. Ab seines ersten Auftretens, was nicht als Bassmelodie geschieht, sondern als Thema in den Bläsern, webt Brahms daraus nach und nach 34 Variationen, die anhaltend an Intensität aufbauen, quasi wie in Trotz zur bedrückenden und beständigen Umdrehung am Boden. Die finalen Variationen führen direkt zu einem Ende, das das Gewicht der Tragödie und des im ersten Satz entstandenen Pathos wiederherstellt.

(c) Michael Rodman, Max Kalbeck

Kaufempfehlung:
London Philharmonic Orchestra, Dir. Marin Alsop
Label: Naxos, DDD, 2005/06
Berliner Philharmoniker, Dir. Simon Rattle
YouTube:
Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Dir. Lorin Maazel
1995

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